Albrecht, H.-J., & Grundies, V. (2007). Sexuelle Gewaltkriminalität im Lebenslängsschnitt : Die Entwicklung von Sexualkriminalität an Hand von Daten der Freiburger Kohortenstudie. In F. Lösel, D. Bender, & J.-M. Jehle, Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik : Entwicklungs- und Evaluationsforschung (pp. 447–475) Neue Kriminologische Schriftenreihe. Mönchengladbach: Forum Verlag Godesberg.
Die Daten der Freiburger Kohortenstudie, die nunmehr 6 Geburtskohorten aus Baden-Württemberg sowie die für diese registrierten polizeilichen und justiziell dokumentierten Straftaten erfasst, werden im Hinblick auf Inzidenz und Prävalenz von Sexualstraftaten analysiert. Dabei geht es vor allem um die Frage, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Auftreten von sexueller Gewalt aus Informationen zur Legalbiographie vorhergesagt werden kann.Zur Fragestellung „gefährliche Straftäter“ kann die Freiburger Kohortenstudie, dank der von ihr erfassten Längsschnittsdaten, einzigartige Beiträge liefern. Dies gilt umso mehr, da die erfassten Daten keiner spezifischen Selektion, z.B. durch Verurteilung oder den Vollzug freiheitsentziehender Sanktionen, wie diese in den meisten Studien zur Sexualdelinquenz angetroffen werden kann, unterliegen. Die Freiburger Kohortenuntersuchung umfasst die Delinquenz im Allgemeinen, so weit sie sich jedenfalls in einer polizeilichen Registrierung niederschlägt. Inzwischen ist die Datenbasis der Studie so groß, dass auch zu solch seltenen Ereignissen wie (schwere) Sexualdelinquenz in nutzbarem Umfang Daten vorliegen und damit auf repräsentativer Basis Aussagen zu Inzidenz, Prävalenz und zum Rückfall bei Sexualstraftätern getroffen und vertiefende statistische Analysen der Daten durchgeführt werden können.
Abteilung: Kriminologie Projektstatus: abgeschlossen Forschungsprogramm Kriminologie: Gefährliche Straftäter Organisationsstatus: Institutsprojekt Projekttyp: Forschungsprojekt Projektdauer: Projekt Startdatum: 2005
Projekt Enddatum: 2007- Gruppieren nach:2007Beiträge in Sammelbänden
Albrecht, H.-J., & Grundies, V. (2007). Sexuelle Gewaltkriminalität im Lebenslängsschnitt : Die Entwicklung von Sexualkriminalität an Hand von Daten der Freiburger Kohortenstudie. In F. Lösel, D. Bender, & J.-M. Jehle, Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik : Entwicklungs- und Evaluationsforschung (pp. 447–475) Neue Kriminologische Schriftenreihe. Mönchengladbach: Forum Verlag Godesberg.
DeutschAlbrecht, H.-J., & Grundies, V. (2007). Sexuelle Gewaltkriminalität im Lebenslängsschnitt : Die Entwicklung von Sexualkriminalität an Hand von Daten der Freiburger Kohortenstudie. In F. Lösel, D. Bender, & J.-M. Jehle, Kriminologie und wissensbasierte Kriminalpolitik : Entwicklungs- und Evaluationsforschung (pp. 447–475) Neue Kriminologische Schriftenreihe. Mönchengladbach: Forum Verlag Godesberg.
Einige zentrale Ergebnisse zur Sexualdelinquenz sind im Folgenden am Beispiel von Vergewaltigung/sexueller Nötigung (im Folgenden als Vergewaltigung bezeichnet) dargestellt.
Es zeigte sich, dass die altersabhängige Häufigkeit des Auftretens von Vergewaltigung nach einem Anstieg zu Beginn der Pubertät mit dem Alter kaum mehr variiert, zumindest bis zu einem Alter von 30 Jahren (s. die in der Abbildung dargestellten Prävalenzen). Dies ist ein auffälliger Befund, da im Allgemeinen die registrierte Häufigkeit delinquenten Verhaltens nach einem Maximum im Jugendalter mit weiter zunehmendem Alter wieder deutlich zurück geht. Zu beachten ist dabei allerdings, dass es sich um eine Betrachtung im Längsschnitt handelt, bei der gleichzeitig mit dem fortschreitenden individuellen Alter ein gesellschaftlicher Wandel einhergehen kann. Tatsächlich scheint der im Fall der Vergewaltigung nahezu konstante Altersverlauf durch eine zunehmende Anzeigebereitschaft, vor allem bei Delikten aus dem sozialen Nahfeld, mit verursacht zu sein. Insbesondere in den 1990er Jahren ist nämlich eine Zunahme der Registrierung von sexuellen Gewaltdelikten zu verzeichnen, die sich fast ausschließlich auf eine Zunahme von Delikten zurückführen lässt, die dem Bereich "Häuslicher oder familiärer Gewalt" zugeordnet werden können. Somit lassen die vorliegenden Daten zur Vergewaltigung sich dahingehend interpretieren, dass eine wahrscheinliche altersbedingte Abnahme von Taten durch eine zunehmend größere Bereitschaft kompensiert wird, Vorkommnisse gerade auch aus dem sozialen Nahfeld anzuzeigen.
Abbildung: Jährliche polizeiliche Prävalenzraten und kumulierte Raten der deutschen Männer, Vergewaltigung/ sexuelle Nötigung (Baden-Württemberg).
Ein großer Vorteil der Freiburger Kohortenstudie ist, dass die Personen prinzipiell von frühstem Alter an über den ganzen Lebenslauf erfasst werden. Somit ist es möglich auch bezüglich sexueller Gewaltdelikte zwischen Erst- und weiteren Registrierungen zu unterscheiden. Nun zeigt sich bei Vergewaltigungen, dass es sich bei fast allen Registrierungen um Erstregistrierungen handelt (über 80 % s. die in der Abbildung dargestellte Rate der Erstregistrierungen). Dies impliziert zum einen, dass die meisten wegen einer Vergewaltigung erfassten Personen keine einschlägige legalbiographische Vorgeschichte haben, und zum anderen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls nicht sehr hoch ist. So ergeben sich aus den Daten der Freiburger Kohortenstudie Rückfallraten, die in einem Zeitraum von 10 Jahren unter 20% liegen.
Über den Lebenslauf betrachtet, ergibt sich, dass bis zu einem Alter von 30 Jahren ca. 0,4 % der deutschen Männer wegen einer Vergewaltigung registriert wurden (s. die in der Abbildung dargestellten kumulierten Raten), wobei die Größe dieser Gruppe gleichmäßig mit dem Alter zunimmt. Dies entspricht der oben angesprochenen Konstanz der (Erst-) Registrierungsraten mit dem Alter und unterscheidet sich damit von dem für (erfasste) Delinquenz im Allgemeinen typischen Altersverlauf, der durch gehäufte Registrierungen im Jugendalter charakterisiert wird (vgl. hierzu die altersabhängige Entwicklung der kumulierten Raten für unspezifische Delinquenz in der Abbildung ('alle' Delikte)).
Sollte durch das eben Ausgeführte der Eindruck entstanden sein, dass es sich bei einer Vergewaltigung meist um ein singuläres Ereignis handelt, so mag dies zwar im einschlägigen Sinne zutreffen, aber nicht bezüglich delinquenten Verhaltens im Allgemeinen. Meist verzeichnet die Legalbiographie von sexuellen Gewalttätern vor oder nach der Registrierung wegen einer Vergewaltigung weitere Delikte. So können von den deutschen Männern, die bis zu einem Alter von einschließlich 27 Jahren wegen einer Vergewaltigung registriert wurden, ca. 16 % der Gruppe der chronisch Delinquenten zugeordnet werden. Weitere 14 % weisen allerdings neben der Registrierung wegen einer Vergewaltigung keine andere polizeiliche Registrierung auf. Die Mehrheit der Registrierten (70 %) ist zwischen diesen Extremen einzuordnen.
Weiter konnte gezeigt werden, dass sich die von Polizei und Justiz erfassten legalbiographischen Daten, zumindest soweit sie sich in den entsprechenden Datenbanken niederschlagen, keine sinnvolle Prognose von Vergewaltigungen ermöglichen. Dies gilt auch dann, wenn die legalbiographische Vorgeschichte deliktsspezifisch differenziert betrachtet wird und insbesondere einschlägige Delikte wie auch andere Gewaltdelikte neben anderen Delikten in einem multivariaten Modell aufgenommen werden.